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Polizeigewalt bei „Stopp Datteln 4“ Demo.

Bis die Polizei brutal Menschen aus der Demo gezogen hat, wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot, war es eine absolut friedliche Abschluss-Demo der Aktionen von Ende Gelände, FridaysForFuture, Extinction Rebellion und anderer Gruppen gegen die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks Datteln IV. Mit zwei Abgeordneten der Grünen war ich einer der drei Parlamentarischen Beobachter*innen. Mich lassen die Eindrücke von gestern nicht los, weil so etwas echt nicht sein darf, so eine Eskalation:

Morgens ging es los mit der Pressekonferenz und der Roten Linie, Menschen gingen baden, befuhren mit Kanus den Kanal, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Es gab von den verschiedenen Organisationen vor den Toren des Kraftwerks diverse Mahnwachen, mit Musik und Reden. Zum Abschluss dann fand nachmittags eine Demo statt, die von den Mahnwachen durch Datteln zu einer kleinen Abschlusskundgebung führen sollte.

Als die Demo, vom Kraftwerk kommend, hinter der Kanal-Brücke nach rechts gen Innenstadt abbiegen wollte, tauchten plötzlich Beweissicherungs-Festnahme-Einheiten (BFE) der Polizei auf und griffen mehrere Menschen (m.W. 5), auch Minderjährige, aus der Demo an, rissen sie zu Boden, schirmten sie dann von der Menge ab und brachten sie zu bereitstehenden Einsatzwagen, um sie zu durchsuchen und ihre Identität festzustellen.

Gemeinsam mit mehreren Journalist*innen wollte ich zumindest in Richtung der BF-Einheiten, weil vollkommen unklar war, was der Anlass war, was mit den Festgehaltenen passieren würde. Erst wurde ich nicht durchgelassen, musste etwas energischer darauf bestehen, damit ich schließlich durch die Polizeikette kam. Dort konnte ich mit einem Verantwortlichen der betreffenden Einheit sprechen. Seine Aussage: Die fünf Menschen, die sie rausgezogen hatten, hätten gegen das Vermummungsverbot verstoßen. Auf meinen Verweis auf das Vermummungsgebot wegen Corona war seine Antwort, sie hätten sich über das dazu notwendige Maß hinaus vermummt, beispielsweise sei bei jemandem der Haaransatz nicht mehr zu sehen gewesen, andere hätten eine Sonnenbrille getragen o.ä. Warum es keine Vorwarnung gegeben hat, konnte er nicht beantworten. Lediglich erwähnte er, am Vormittag, bei der „Roten Linie“, hätte irgendjemand A-C-A-B gerufen – wie das so einen Eingriff rechtfertigen soll, ist mir nicht klar, selbst wenn das gerufen worden sein sollte.

Es blieben für mich vier zentrale Punkte:

1. Es gibt ein Spannungsfeld aktuell zwischen Vermummungsgebot und Vermummungsverbot. Die Regelungen, was angemessen ist, was nicht, scheinen mir Ermessenssache, zumal viele Teilnehmer*innen Sonnenbrille oder Cappis aufhatten, sich mit Jacken vor der Hitze und der Sonne geschützt haben, alles zusätzlich zur Maske eben.

2. Es war eine absolut friedliche Demo, genauso wie die vorigen Aktionen. Die Stimmung war gut, es wurde gesungen, es gab Sprechchöre, es war eine sehr bunt gemischte Gruppe, aus den verschiedenen Organisationen. Es war überhaupt von Seiten der Polizei nicht zu befürchten, dass irgendetwas geschehen würde. Zu dem Zeitpunkt wollten alle nur nach Hause, genau wie ich, ins Wochenende, nach einem langen Tag.

3. Die Polizei ist mit ziemlicher Härte in die Demo gegangen, absolut nicht nachvollziehbar, hat neben den in Gewahrsam genommenen Personen auch Danebenstehende zu Boden gerissen. Absurd: Bei der Maßnahme tragen, auf meinem Video zu sehen, nicht alle Polizisten eine Mund-Nasen-Bedeckung, absurd, zumal sie vorher die Anmelderin der Demo aufgefordert hatten, auf Abstand und Maske zu achten.

4. Bei Demos bin ich es gewohnt, dass in solchen Fällen, wo ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot beobachtet, eine Durchsage gemacht wird. Das habe ich auch bei diversen antifa-Demos und Blockaden erlebt, etwas so: „In ihrer Demo befinden sich Personen, die gegen das Vermummungsverbot verstoßen, bitte legen Sie ihre Vermummung ab.“ Aber es hat keinerlei Durchsage, keine Vorwarnung gegeben.

Für mich war dieses Erlebnis gestern so absurd, so falsch, dass ich es nicht so stehenlassen möchte. Videos und Fotos hat es übrigens nicht nur von mir gegeben, sondern auch von Journalist*innen. Annett Selle, die für die Tat einen Live-Vlog gemacht hat, den ich Euch in den Kommentaren verlinke, hat die Beobachtungen zusammengetragen und bestätigt die Vorgänge.

Um es klar zu sagen: Ich bin weder der Ansicht, dass wir keine Polizei bräuchten, noch dass alle Polizist*innen so brutal handeln. Im Gegenteil, immer wieder, auch in Kiel, erlebe ich gute Kooperation und freundliche Gesprächspartner*innen, Polizist*innen, die sich an getroffene Absprachen halten sowie Einsatzleiter, die auch intervenieren, wenn jemand aus den Reihen der Polizei sich einmal nicht korrekt verhält. Genauso habe ich aber schon Polizeigewalt beobachten können, unrechtmäßiges Verhalten, weshalb es so wichtig ist, dass bei Demos und Aktionen Parlamentarische Beobachter*innen dabei sind. Ich finde, in einem demokratischen Rechtsstaat braucht es eine demokratische Polizei, die gut ausgebildet ist.