2019 Gösta Ak 6216 Green (1)

Reflexion über Neoliberalismus, die erstarkende Rechte und die Aufgaben der Linken in Zeiten der Corona-Krise

Immer noch: Sozialismus oder Untergang in der Barbarei

Kleine Reflexion über Neoliberalismus, die erstarkende Rechte und die Aufgaben der Linken in Zeiten der Corona-Krise

Gegen „Radikalismus“, „Extremismus“ wenden sich aktuelle Stimmen aus den Parteien, die sich als „Mitte“ begreifen, wenn sie auf den Sturm auf das Kapitol in Washington reagieren. Schon jetzt ist eine Mehrheit der Bevölkerung angesichts der Corona-Krise für eine deutlich sozialere Politik, für eine Vermögensabgabe beispielsweise, verbunden mit entschiedenem Handeln des Staates und mehr Klimaschutz. Es kann nicht sein, was nicht sein darf: Dass die soziale Spaltung des Landes, die Privatisierung des Öffentlichen, eine Politik für Lobbys und Konzerne als eine der Ursachen der gesellschaftlichen Krise entdeckt wird.

Wirksamer Antifaschismus bedeutet, nicht nur den Nazis in den Parlamenten und auf der Straße entgegenzutreten, sondern auch gemeinsam solidarische Alternativen zu entwickeln: Der Neoliberalismus als herrschende Ideologie und politische Praxis der letzten Jahrzehnte hat sich zu einem Glaubensgebäude entwickelt, gehuldigt wird der „unsichtbaren Hand“, staatliches Handeln ist des Teufels, grundlegende Alternativen zum Bestehenden darf es nicht mehr geben, denn „There is no alternative.“ (Thatcher)

Die Reduzierung des Einzelnen auf eine gesellschaftliche Monade, deren Zweck es ist, zu konsumieren und sich als Humankapital am Markt verwerten zu lassen hat ein zynisches Menschenbild zur Grundlage, das den Werten der Aufklärung und des Humanismus entgegensteht. Es soll das Bewusstsein produziert werden: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Ob jemand Milliardär wird oder im Hartz-IV-Bezug landet, hat nichts mit gesellschaftlichen Strukturen zu tun, sondern mit einer individuellen Entscheidung. Das Fordern im Sanktionsregime ist die logische Konsequenz – nicht die Strukturen haben sich zu ändern, sondern der Einzelne.

Diese gesellschaftliche Entsolidarisierung, verbunden mit dem Raubbau am Öffentlichen – mit Verschleudern öffentlichen Wohnraums, Abbau sozialer Sicherungen, Privatisierungen bei der öffentlichen Daseinsvorsorge – führt zur Wahrnehmung, dass der Staat eh nichts für die Mehrheit der Menschen tut, sondern nur für die, von denen die politische Elite ihre Spendengelder bekommt. Die beschrieene „Politikverdrossenheit“ ist ein Überdruss an der realen Funktionsweise einer parlamentarischen Demokratie, die längst kein Ringen um die bestes Lösung mehr ist (und es vielleicht nie wahr), sondern zum bloßen Ritual erstarrt scheint. Sie kann der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft, immer absurderem Reichtum auf der einen, wachsender Armut und Perspektivlosigkeit auf der anderen nichts entgegensetzen – und will es auch nicht.

Die erstarkende Rechte in Europa und weltweit gibt auf diese gesellschaftliche Krise und die Krise des Parlamentarismus einfache Antworten: ein gesellschaftliches Rollback in eine Zeit ohne „Gendergaga“, ohne P.C., wo man noch seine Meinung sagen konnte, ohne von der „Gesinnungspolizei“ in die Schranken gewiesen zu werden, wo man noch stolz sein konnte auf seine Herkunft, seine Nationalität. So wird die Vergangenheit zu einer Zukunftsvision. Der zugrundeliegende Nationalismus, verbunden mit einem rassistischen, antisemitischen Bild von Gesellschaft, ist nur in Teilen eine Reaktion auf eine soziale Realität, eher eine Reaktion auf eine vorgestellte, verzerrte Wahrnehmung von Realität, in der anonyme Mächte eine Verschwörung gegen die Bevölkerung planen, Medien und Politik ihre Helfershelfer sind. Das geht dann bis hin zum Wahn, irgendwo in den Hinterzimmern würde die Elite sitzen und Kinderblut trinken.

Der Verschwörungswahn ist nicht neu, besonders seit Anfang des 21. Jahrhunderts verbreitet er sich auch in der deutschen Gesellschaft, angetrieben zuerst durch Rechte Blogs, häufig von der Strömung der US-Rechten beeinflusst, die sich als „Truther“ oder Info-Krieger begreift, daher auch häufig in diesen Kontexten solche Bilder von „Schlafschafen“ im Gegensatz zu Menschen, die „aufgewacht“ sind, oder Medien, die die „Wahrheit“ sagen (auf YouTube oder social Media) im Gegensatz zu den „Mainstream-Medien“, die „Fake News“ verbreiten.

Facebook, Twitter und Co. mit Algorithmen, die Polarisierung und Zuspitzung bevorzugen, haben dem Verschwörungswahn zum Durchbruch verholfen. Er findet sich (noch) in den Parlamenten der Welt, auch im deutschen Bundestag, genauso bis in die Regierungen vieler Länder, die Namen Trump, Bolsonaro oder Duterte wären zu nennen. In Europa kommt erschwerend hinzu, dass Russland diese Ideologie befeuert, mit Geldmitteln an rechtsradikale Parteien, aber auch mit der Förderung rechtspopulistischer Plattformen. Putin hat kein Interesse an einem aufgeklärten, liberalen Europa, sondern an einem möglichst schwachem, gespaltenen. Dass diese EU mit ihrer russlandfeindlichen Politik, mit der Ostausdehnung der NATO eine Mitschuld an dieser Entwicklung trägt, ist klar. Es macht aber den Einfluss Russlands im Verbund mit der US-Rechten aktuell nicht weniger problematisch.

Was bleibt einer Linken in dieser Situation? Einige, auch innerhalb meiner Partei, meinen, man könne auf die gesellschaftliche Krise nur reagieren, indem man die Sprache der Rechten spricht, sie dort abholt, wo sie stehen, immer mal wieder diskursiv den Blinker rechts setzt. Meiner Ansicht nach ist dieser Kurs zum Scheitern verdammt, dafür spricht nicht zuletzt der nationalbolschewistische Kurs der KPD in der Spätphase der Weimarer Republik, der letztlich mit seiner radikalen Ablehnung der Republik und seinem Programm „zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ zur Agenda der NSDAP keine glaubwürdige Alternative entwickeln konnte.

Die Alternative zur Anbiederung an völkische Diskurse ist eine linke bewegungsorientierte Politik, die konsequent antifaschistisch und emanzipatorisch ist. Dieser Antifaschismus greift die Nazis und ihre Ideologie an, ohne zu zaudern, benennt aber ebenso die Wurzeln der gesellschaftlichen Krise in einem neoliberalen Kapitalismus, der alle gesellschaftlichen Bereiche seiner Logik von Ausbeutung und Profit unterordnen will. Opfer sind die Ärmsten und Schwächsten in den kapitalistischen Zentren und die Bevölkerung in den Peripherien kapitalistischer Produktion, die im globalen Süden unmittelbar von den Folgen der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen durch die radikale Ausbeutung von Mensch und Natur betroffen sind, in Form des Klimawandels.

Eine Linke, die eine Zukunft haben will, bündelt alle fortschrittlichen Bewegungen, allen emanzipatorischen Aufruhr gegen die neoliberale Unterwerfung der Welt. Diese Linke erneuert das Bewusstsein, dass wir immer noch in einer Klassengesellschaft leben, nicht nur allein in Deutschland, sondern weltweit. Genauso wie das Kapital international ist, seine Ringe der Ausbeutung um den ganzen Erdball spannt, muss so eine Linke internationalistisch sein, genauso wie den deutschen HartzIV-Empfänger, die Autobauerin bei Daimler, die Pflegekraft im Städtischen Krankenhaus tritt sie für die Näherin in Bangladesh ein, die unsere Kleidung zum Hungerlohn zusammennäht, für den rumänischen Leiharbeiter in der Fleischindustrie oder die Kleinbauern in Äthiopien, die durch Dürre und Überschwemmungen ihre Heimat verlieren.

Die Corona-Krise hat die Spaltung unserer Gesellschaft deutlich gezeigt, die reale Abwertung derjenigen, die im Gesundheitsbereich, Einzelhandel oder anderen schlecht bezahlten Bereichen unsere Gesellschaft auch in der Pandemie am Laufen halten, denen aber außer dem zynischen Applaus im Bundestag wenig mehr bleibt, auf der einen Seite. Auf der anderen die, die in der Krise profitieren, die, die eh schon viel haben und deren Reichtum unablässig wächst, den anzutasten aber den Parteien der vermeintlichen „Mitte“ als Sakrileg gilt.

Angesichts dessen wird sich die soziale Frage in den nächsten Monaten und Jahren neu stellen, zumal sowohl Angela Merkel als auch Olaf Scholz angekündigt haben, dass ab 2022 die Schuldenbremse wieder greifen müsse. Die Linke muss diese Herausforderung annehmen, mit einer Klassenpolitik, die konkrete Alternativen aufzeigt – mit Mietendeckel, Vermögensabgabe oder einer gerechten Energie- und Verkehrswende -, aber gleichzeitig das Bild der ganz anderen Gesellschaft zeichnet, die Freiheit und Gleichheit verbindet, die den Menschen und nicht seine Verwertbarkeit in den Mittelpunkt allen Handelns stellt. Nicht einfach, kein dünnes Brett, aber die Alternative lautet immer noch: Sozialismus oder Untergang in der Barbarei.