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Die Champagner-Koalition braucht Druck von links.

Die Champagner-Koalition. Einige Anmerkungen zu den Sondierungen von SPD, Grünen und FDP

„Fortschrittskoalition“ – so nennen sich SPD, Grüne und FDP in ihrem Papier. Das ist in etwa das, was die Philosophin Nancy Fraser mit dem Begriff „progressiver Neoliberalismus“ beschrieben hat: Es finden sich im Sondierungspapier für die Ampel einige reale Fortschritte, was Menschen- und Freiheitsrechte angeht, Rechte von Frauen, Homo- und Transsexuellen, allesamt begrüßenswert, sprachlich geben sich die drei Parteien einen modernen Anstrich. Doch im Kern deutet das Papier eine Politik an, bei der bei den Superreichen und Konzernen die Champagner-Korken knallen dürften: Keine Umverteilung in Zeiten der Krise, dafür aber Angriffe auf die Rechte von Arbeitnehmer*innen.

Voodoo-Politik des Christian L.

Der Kern des Papiers ist die Voodoo-Politik von Christian Lindner: Es soll keine Vermögenssteuer geben, keine Steuererhöhungen, keine Umverteilung, die Schuldenbremse soll aber weiter gelten und Investitionen sollen angeschoben werden. Nach der Corona-Krise stünde eigentlich an, in (klimagerechte) Infrastruktur zu investieren und gerade kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Mit dieser Politik, die hier angedeutet wird, scheint das unmöglich, zumal große Konzerne und Vermögen nicht angetastet werden sollen. Ob sich daran in den Koalitionsverhandlungen etwas ändert, werden wir sehen, die FDP scheint aber hier den Ton anzugeben.

Angriff auf Arbeitnehmer*innenrechte

Der Linie der FDP entspricht auch der Umgang mit Arbeitnehmer*innenrechten, die einst von der Arbeiterbewegung erkämpft wurden: Im Zeichen der „Flexibilität“ wird hier das Arbeitszeitgesetz angegangen, die „Tageshöchstarbeitszeit“ (derzeit bis zu 10 Stunden) soll ausgeweitet werden. Das ist besonders eine Kampfansage an Beschäftigte im Niedriglohnbereich, wo Missbrauch eh nicht selten ist, und für Angestellte in Branchen mit geringer gewerkschaftlicher Organisierung. Hier müssten die Gewerkschaften auf die Barrikaden gehen. Dass die SPD sich mit ihrer Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro durchgesetzt hat, ist da nur ein schwacher Trost. Allerdings darf man nicht unterschätzen, dass eine Erhöhung des Mindestlohns reale Verbesserungen für die Betroffenen bedeutet, gerade in Zeiten steigender Lebensmittel- und Energiepreise und des Mietenwahnsinns.

Die Rente geht an die Börse

Im Bereich der Rente hatte ja schon Scholz seine Sympathie bekundet für eine „Aktienrente“. Hier soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass die gesetzliche Rentenversicherung am „Kapitalmarkt“ angelegt wird. Dass die Rente an die Börse geht, ist ein weiterer Schritt, die gesetzliche Rente auszuhöhlen, gerade angesichts der Risiken, die der Aktienmarkt birgt. Auch in diesem Bereich konnte die SPD sich durchsetzen: Es soll zumindest keine Rentenkürzungen geben, das Niveau soll stabil gehalten werden. Aber es ist weidlich bekannt, dass angesichts der Rentenkürzungen unter rot-grün künftige Generationen eine Rente beziehen werden, die für einen großen Teil unterhalb des Armutsniveaus liegt. Dass das Konzept einer „Rente für alle“, in die alle Einkommensgruppen einbezogen werden, nicht zur Diskussion steht, ist klar.

Hartz IV: Raider heißt jetzt Twix

Einige Medien haben ja gleich berichtet, Hartz IV würde abgeschafft, das scheint aber mitnichten so: Das Konzept der FDP, HartzIV zu ersetzen, nennt sich „Bürgergeld“. Das hat es jetzt auch ins Sondierungspapier geschafft. Es ist noch nicht genauer ausformuliert, aber es wirkt so, als würde sich der Name ändern, die Zuverdienstpflichten erhöht werden (was möglicherweise auch Risiken des Lohndumpings birgt), aber das Sanktionsregime in Kern bestehen bleiben. Hier sind die Sozialverbände gefordert, Druck auszuüben.

Nix mit Bürgerversicherung, Zweiklassenmedizin ist Boss

Sowohl SPD als auch Grüne hatten im Wahlkampf angekündigt, in eine Bürgerversicherung einsteigen zu wollen. Davon ist nichts mehr übrig, das Prinzip der Zweiklassenmedizin soll erhalten bleiben. Genauso soll das Prinzip der Fallpauschalen (das auch Karl Lauterbach mit auf den Weg gebracht hat damals) fortgesetzt, aber „reformiert“ werden. Pflegekräfte sollen zwar höhere Löhne bekommen, aber wie sich der Pflegenotstand, der sich angesichts der Corona-Krise noch einmal verschärft hat, dafür fehlt jede Idee in dem Papier.

Bauen, bauen, bauen

Ähnlich dürftig sieht es beim Kampf gegen die Mietenwahnsinn aus: Bauen, bauen, bauen lautet hier die Devise, durchaus auch mit der Schaffung neuer Sozialwohnungen. Das ändert aber nichts an dem steigenden Bestandsmieten. Wohnen bleibt so ein Spekulationsobjekt, obwohl es ein Menschenrecht sein sollte. Zwar sollen bestehende Regelungen zum Mieter*innenschutz fortgesetzt werden, aber ein notwendiger Mietenstopp, eine verschärfte Mietpreisbremse oder die Möglichkeit zumindest zu lokalen Mietendeckeln, wie sie die Grünen schaffen wollte, sucht man vergebens.

Der große Sprung beim Klima ist vorläufig abgesagt

Gut ist, dass sich die Ampel-Anwärter*innen darauf verständigt haben, sich ans Pariser Klimaabkommen gebunden zu fühlen, sogar das Ziel der Begrenzung auf 1,5 Grad genannt wird. Wäre das Sondierungspapier vor zehn Jahren erschienen, hätte man es durchaus als fortschrittlich erachten können im Bereich der Klimapolitik. Allein die Zeit drängt mittlerweile, und hier macht das Papier einige notwendige Fortschritte, aber der große Sprung, der notwendig wäre, um das Ruder herumzureißen, bleibt aus. Ordnungsrecht kommt wenig vor, der notwendige sozial-ökologische Umbau ist noch nicht erkennbar, wohl auch nicht von allen Parteien mit der gleichen Vehemenz gewollt. Dass dann auf die einfachste Maßnahme zugunsten von Menschenleben, Umwelt und Klima verzichtet wird, das Tempolimit, gegen jede Vernunft, ist folgerichtig. Dramatisch ist, dass zur sozialen Dimension angesichts explodierender Energiepreise nichts aufgeschrieben wurde. Dabei gäbe es einige Sofortmaßnahmen, die man nennen könnte, etwa ein Verbot von Strom- und Gassperren, Sozialtarife beim Strom für Empfänger*innen von Transferleistungen, den CO2-Preis im Wärmebereich auf die Vermieter*innen umlegen. Ganz davon zu schweigen, dass man Milliarden-Profite für Konzerne zurückfahren und umverteilen könnte, aber dazu und dem gesamten Komplex der Klimapolitik im nächsten Text mehr.

Insgesamt ist das Sondierungspapier noch nicht der Koalitionsvertrag, aber es zeichnet sich eine Linie ab: Die SPD bekommt wenig mehr als zwei zentrale Wahlkampfversprechen (Mindestlohn, Rentenniveau), die Grünen Punkte in der Klimapolitik (die aber bei Weitem nicht ausreichen und schwach sind in der sozialen Dimension), aber die FDP macht Punkte beim Stil des Papiers, beim Angriff auf Arbeitnehmer*innenrechte und der weiteren Vermarktwirtschaftlichung unserer Gesellschaft.

Dass Lob für das Sondierungspapier ausgerechnet von Friedrich Merz kam, spricht Bände: Die Ampel wird eine Champagner-Koalition: Fein perlig und irgendwie prickelnd in der Anmutung, aber teuer für die, die sich den Schampus nicht leisten können. Sie wird Druck von links brauchen.