2019 Gösta Ak 6216 Green

Interview mit Junge Welt.

Gegenüber dem Spiegel hat Grünen-Kovorsitzende Annalena Baerbock am Freitag erklärt, im Sondierungspapier stecke eine »fundamentale Wende in der Energiepolitik«. Konnten Sie die entdecken?

Aus dem Sondierungspapier ist das nicht herauszulesen: SPD, Grüne und FDP sagen, sie wollten mit »neuen Geschäftsmodellen und Technologien« Klimaneutralität erreichen. Im Prinzip ist das der Sound der alten Klimapolitik, die die letzten Jahrzehnte versagt hat mit ihrem Hoffen auf das unsichtbare Händchen des Marktes. Für Unternehmen soll es »Superabschreibungen« geben für Investitionen in Klimaschutz – klar, öffentliche Investitionen sind ja kaum möglich mit der Schuldenbremse. Das ist die Handschrift der FDP. Dass das »Ampel«-Papier die soziale Dimension ausspart, keine Idee davon hat, wie auf steigende Energiepreise reagiert werden kann, ist folgerichtig.

Und wie sollte aus Ihrer Sicht darauf reagiert werden?

Von den steigenden Energiepreisen sind besonders einkommensschwache Haushalte betroffen. Hier braucht es kurzfristige Maßnahmen. Frankreich beispielsweise bezahlt ein Energiegeld an ärmere Haushalte. Selbst im Coronajahr 2020 ist hierzulande fast 250.000 Haushalten Strom oder Gas abgestellt worden. Die Linke setzt sich für das Verbot von Strom- und Gassperren ein. Sonst könnte sich angesichts der mickrigen Erhöhung des ALG II diese Situation im Winter noch verschärfen.

Wie bewerten Sie den klimapolitischen Teil des Papiers insgesamt?

In der Verkehrspolitik fehlt jede Idee, wie Bus und Bahn ausgebaut, günstiger und attraktiver gemacht werden können. Bei Wohnen und Mieten steht zwar, man wolle energetische Sanierungen vorantreiben, aber wie vermieden werden soll, dass Immobilienkonzerne damit Menschen aus ihren Wohnungen vertreiben – Fehlanzeige. Zwar will die zukünftige Koalition den Ausbau von Windkraft und Photovoltaik beschleunigen, aber wie verhindert werden kann, dass die im Kern demokratische Energiewende weiter an die Konzerne verscherbelt wird, kein Wort dazu.

Im Papier steht, dass nicht erst 2026 überprüft werden solle, ob das Abschalten von Kohlekraftwerken vorgezogen wird, sondern demnächst. Ist das nicht ziemlich vage?

Na klar, da steht ja auch: »idealerweise«. Die Grünen rennen jetzt rum und verkünden, der Kohleausstieg würde auf 2030 vorgezogen. Ob das tatsächlich so kommt, steht in den Sternen. Das hängt ja auch damit zusammen, ob es wirklich gelingt, die Energiewende zu beschleunigen.

Baerbock erklärte auch das Tempolimit auf Autobahnen für verzichtbar, für den Klimaschutz im Verkehr sei das Ende des Verbrennungsmotors entscheidend. Stimmen Sie dem zu?

Das Tempolimit wäre zwar ein vergleichsweise geringer Beitrag, aber eben auch von heute auf morgen zu machen. Es geht da nicht nur ums Klima, auch um Umwelt- und Gesundheitsschutz, um Menschenleben. Den Verbrennungsmotor wollen nach dem Sondierungspapier die drei Parteien ohnehin erhalten, aber dann mit synthetischen Kraftstoffen betanken. Bei begrenzter Verfügbarkeit erneuerbarer Energien eine teure Art der Energieverschwendung.

Aus Berechnungen mehrerer Forschungsinstitute geht hervor, dass die BRD ihre Klimaziele für die nächsten zwei Jahrzehnte ohne zusätzliche Anstrengungen klar verfehlen wird. Was ändern die angekündigten Maßnahmen daran?

Die reichen hinten und vorne nicht, wahrscheinlich nicht einmal, um einen Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung auf durchschnittlich zwei Grad Celsius mehr zu leisten. Dramatisch ist dabei, dass die Parteien sich anschicken, eine Klimapolitik für Reiche und Konzerne fortzusetzen, bei der ärmere Menschen auf der Strecke bleiben. Da braucht es glaubwürdige Antworten von links.