Widersprüche und die Notwendigkeit zu widersprechen

Es ist eine Tour der Widersprüche für mich: Gestern beim Treffen der deutschen Delegation war ich einigermaßen erstaunt, als Siemens und eine deutsche Bank als Teil der Zivilgesellschaft, gleichberechtigt mit Entwicklungshilfeorganisationen und Gewerkschaften, vorgestellt wurden. Aber dafür habe ich vermutlich einen falschen Begriff von Zivilgesellschaft. Von Seiten der Bundesregierung wurde dann auch die Rolle Deutschland in den Verhandlungen als positiv geschildert, es würden bspw. mit dem Klima-Kabinett (manche sprechen auch vom „Klima-Kabarett“) Fortschritte gemacht. Ein Problem seien eher Staaten wie Syrien, Jemen oder Libyen.

Gut, dass bei solchen Gesprächen dann nicht nur die Vertreter*innen der Bundesregierung am Tisch sitzt, kritische Stimmen zur Rolle Deutschlands kamen von den Vertreter*innen der Entwicklungshilfeorganisationen sowie von meinem Kollegen der Grünen. Ich habe in meinem Beitrag betont, dass angemerkt, dass nun gerade die kritisierten Staaten nicht ganz ohne deutsches Verschulden in der Lage sind, dass es einfach zu kurz gesprungen ist, sich nur auf Entwicklungshilfe zu fokussieren (ein neokolonialer Blick finde ich!), aber Rüstungsexporte, unfaire Handelspolitik, das Anheizen des Klimawandels und das Paktieren mit einer Regierung in Libyen, die in ihren Flüchtlingscamps foltern und morden lässt unter den Tisch zu lassen. Das kennzeichnet die deutsche Politik: Die eigene Position mit dem Weichzeichner beschreiben, aber knallharte Interessenpolitik und Ausbeutung damit kaschieren.

Um wieviel ehrlicher, bewegender sind dann die Gespräche mit Menschen, die ich tatsächlich der Zivilgesellschaft zurechnen würde! Gestern Nachmittag beispielsweise eine Veranstaltung zum Thema Klima, Gender und Industrie. Es ging darum, wie unsere Lebensweise, die Wegwerfgesellschaft, aber vor allem auch die chemische und Düngemittel-Industrie unmittelbar in Lebensräume und Gesundheit der Menschen im globalen Süden, in Lateinamerika und Afrika, eingreift. Betroffen auch hier in erster Linie Frauen, die im Haushalt, im täglichen Leben damit konfrontiert sind, etwa beim Verbrennen von Plastikmüll. Die Giftstoffe finden sich nicht allein in den Flüssen, im Trinkwasser, in den Fischen, sondern auch in der Muttermilch, lassen sich in den Körpern nachweisen. Die Vermüllung unseres Planeten hat Folgen, und es trifft in erster Linie die, die das nicht zu verantworten haben.

Damit wären wir auch gleich bei den zentralen Fragen, über die wir beim Treffen eben gesprochen haben (siehe Foto oben): Wir haben uns zu viert getroffen, Tetet Lauron von den Philippinen, die ich auf den letzten beiden Weltklimagipfeln kennengelernt habe, Emilia Reyes, die in Mexiko an den Themen Klimawandel und Gender arbeitet, und Till Bender von der Rosa Luxemburg Stiftung. Vor allem Emilia hat berichtet vom Prozess, der 2015 zur Verabschiedung der SDGs (Sustainable Development Goals) geführt hat: Nachdem klar war, dass die Milleniums-Ziele der Vereinten Nationen zur Überwindung der Armut nicht erreicht werden konnten, hat Ban Ki Moon, der damalige Generalsekretär, angeregt, einen neuen Anlauf zu nehmen, diesmal aber nicht nur die Entwicklungsländer zu adressieren, sondern die gesamte Staatengemeinschaft einzubeziehen und einen weiter gefassten Ansatz aufzugreifen, der Ökonomie, Ökologie und Soziales miteinander verbindet. Ergebnis war die „Agenda 2030“ mit den 17 SDGs, die 2015 beschlossen wurde. Schaut man sich die Ziele an, ich habe hier schon etwas dazu geschrieben, so könnte es eine Agenda sein, die in wesentlichen Punkten auch DIE LINKE unterschreiben kann. Um es so pathetisch zu sagen: Es geht um die Zukunft der Menschheit, und würden die Ziele erreicht, die Welt wäre eine andere, bessere. Doch es gibt ein paar Knackpunkte:

1. Die SDGs sind nicht verbindlich, die Staaten können also freiwillig berichten, sich daran halten oder auch nicht.

2. Die Frage der Finanzierung ist unklar. Eigentlich müssten die reichen Staaten, die ihren Reichtum durch Ausbeutung erreicht haben, den Staaten des globalen Südens helfen, ihre Ziele zu erreichen. Gerade die Überwindung von Armut und Hunger ist ohne Geld und eine grundlegend andere Politik nicht möglich.

3. Kapitalismus und Klimawandel sind ein Traumpaar, ich erinnere nur daran, dass 100 Firmen verantwortlich sind für 70 Prozent der CO2-Emissionen. Deutschland und viele andere Staaten setzen aber als Antwort auf die Krisen auf Öffentlich-Private-Partnerschaften. Problem: Der Staat trägt das Risiko und garantiert die Gewinne, die Profite werden von den Privaten eingestrichen. Eine unheilige Allianz, die sich diverse Male als untauglich erwiesen hat, irgendwelche Probleme zu lösen.

4. Last but not least, und da kommen wir zum Kern des Problems und dahin, warum eine starke, global denkende Linke so notwendig ist: In den SDGs wird nicht die globale Ungleichheit, die ungerechte Verteilung der Vermögen angegangen. Das Herz der Bestie ist der Kapitalismus, und alle Ziele auf dem Papier klingen gut. Sie werden aber niemals erreicht werden können, wenn denen, die ihren Profit aus Ungleichheit, Armut, Umwelt- und Klimazerstörung ziehen, nicht das Handwerk gelegt wird.